Gesellschaft für Werdenberger Geschichte und Landeskunde

Rudolf Burgäzzi, ein Seveler der frühen Neuzeit

30.05.2022

Das WGL-Mitglied Oliver Berggötz aus Wandlitz bei Berlin ist seiner Familiengeschichte nachgegangen und dabei auf seinen Vorfahren namens «Ruodi Pergetzi» gestossen.

 

Dr. OLIVER BERGGÖTZ, Wandlitz bei Berlin

Dieser Beitrag beschĂ€ftigt sich mit Ruodi Pergetzi beziehungsweise Rudolf BurgĂ€zzi (vor 1500 bis zirka 1575), dem ersten Vertreter seines Familiennamens in Sevelen. Ein glĂŒcklicher Zufall der Überlieferung lĂ€sst uns erfahren, wann die Familie BurgĂ€zzi nach Sevelen gekommen ist, nĂ€mlich im Jahr 1513. Rudolf taucht – obwohl er ein einfacher Mann war – erstaunlich oft in den Quellen auf. Dies ist der eine Grund, sich mit ihm etwas nĂ€her zu befassen. Der andere ist ein ganz persönlicher des Verfassers: Meine Familie wanderte nach dem DreissigjĂ€hrigen Krieg aus Sevelen nach SĂŒdwestdeutschland aus, und ich kann mich mit gutem Recht als seinen Nachfahren betrachten. Mein seit langer Zeit bestehendes Interesse an familiengeschichtlichen Fragen erhielt gewaltigen Auftrieb, als 2017 der durch umfangreiche Regesten erschlossene Inhalt der sogenannten Werdenberger Kisten im Landesarchiv Glarus ins Netz gestellt wurde. Die Bekanntschaft damit wie vieles andere verdanke ich dem aus Sevelen stammenden Historiker Werner Hagmann. Überhaupt bin ich von der Hilfsbereitschaft der mit der Region beschĂ€ftigten Forscher ausserordentlich beeindruckt. ErwĂ€hnen möchte ich Mathias Bugg, Heinz Gabathuler, den 2021 verstorbenen Martin Graber, Beat Mahler, Sibylle Malamud, Hans Stricker, Claudio Stucky und den ebenfalls 2021 verstorbenen Valentin Vincenz.

Die Kenntnis des Jahres 1513 entnehmen wir der Zeugenaussage des Rudolf BurgĂ€zzi vom 6. Mai 1549 in Werdenberg. Darin hielt er fest, dass er ungefĂ€hr fĂŒnfzig Jahre alt und vor 36 Jahren aus dem Sarganserland nach Sevelen gekommen sei (Abb. 1, die Reproduktion seiner Aussage). Mit Gewissheit lĂ€sst sich seine exakte Herkunft nicht bestimmen, aber vieles spricht dafĂŒr, dass er aus Ragaz zugewandert war. Dort lĂ€sst sich die Familie 1450 in den Quellen festmachen (Urbar der Kirche von Ragaz, OGA Ragaz 04.07.23; den Hinweis verdanke ich Claudio Stucky). Der Name leitet sich her vom Heiligennamen PANCRATIUS, der zurĂŒckgeht auf griech. PANCRATES ‘allmĂ€chtig, sehr stark’. «Der zu den Ă€ltesten Heiligenverehrungen der Stadt Rom zĂ€hlende Kult breitete sich ĂŒber weite RĂ€ume aus, tritt jedoch nirgends in grosser Dichte hervor. In GraubĂŒnden erscheint das Patrozinium in Sogn Parcazi in Trin, dann auch in Tinizong; die in RĂ€tien bezeugten Namenformen gehen auf die Grundformen BARCACIUS [
] und (jĂŒnger) BRANCATIUS [
] zurĂŒck.» (Nach Hans Stricker et al., Liechtensteiner Namenbuch, Die Personennamen des FĂŒrstentums Liechtenstein, Bd. 3, [2008], S. 48f.). Die Ragazer Pfarrkirche (Abb. 2) besitzt das Patrozinium des frĂŒhchristlichen MĂ€rtyrers Pankratius, von dessen Name BurgĂ€zzi/PargĂ€tzi abzuleiten ist (vgl. auch Franz Perret, Die Geschlechter der Landschaften Sargans und Werdenberg [1950], S. 61).

Eigenleute des Klosters PfÀfers
Die 1543 aus den Quellen verschwindenden Ragazer PargĂ€tzi (StiAPf, V. 3. d. Nr. 5) waren Eigenleute, also Leibeigene, des Klosters PfĂ€fers (Abb. 3 und 4). Auch die frĂŒhen Seveler BurgĂ€zzi waren persönlich unfrei und AbhĂ€ngige dieses Klosters, das am Seveler Berg die beiden Höfe sein Eigen nannte (Abb. 5). Als PfĂ€fers 1615 den Lehensbrief fĂŒr seine Lehensleute in Sevelen erneuerte, wird Christen BurgĂ€zzi – er dĂŒrfte ein Enkel des Rudolf gewesen sein – explizit als Lehensmann genannt (StAPf, V. 17 a. Nr. 1). Es ist also gut möglich, dass Rudolf als AbhĂ€ngiger des Klosters PfĂ€fers seinen Weg nach Sevelen gefunden hat, und zwar in recht jungen Jahren. Die genauen BeweggrĂŒnde bleiben im Dunkeln.

Kommen wir zu den weiteren Quellen, in denen Rudolf erwĂ€hnt wird. Erstmalig fassbar wird er 1530 als einer der Vertreter der Gemeinde Sevelen. Diese kaufte damals fĂŒr 150 Gulden von Glarus auf Seveler Gemarkung die bereits gepfĂ€ndete Alp Plattegg (Abb. 6) (Rechtsquellen der Region Werdenberg, SSRQ SG III/4 Nr. 45, Kommentar), auch Implategg genannt (siehe Hans Stricker, Werdenberger Namenbuch, Bd. 2 [2017], S. 277). Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts erwarben Gemeinden oder auch Private von den jeweiligen Grundherren die Alpen durch Kauf oder Erblehen. Implategg grenzt sĂŒdlich an die Korporationsalp Inarin und wurde dann mit dieser Alp zusammengelegt. 1549 erwirkte Rudolf als einer der beiden Vertreter der Seveler «Stafelgenossen» – also der Teilhaber an der Alp – die Zustimmung des Glarner Landvogts fĂŒr eine Satzung der Alp Inarin (Edition: SSRQ SG 3,4 Nr. 125). Es handelt sich hier um eine der wenigen erhaltenen Alpordnungen dieser Zeit aus der Region Werdenberg.

Weitere frĂŒhe Seveler BurgĂ€zzi können mit Alpen in Verbindung gebracht werden. 1572 besassen auf der Alp Egg im Calfeisental Fridli BurgĂ€zzi einen Stoss und die Kinder des Simon BurgĂ€zzi eineinhalb Stösse. Beide waren wahrscheinlich Söhne des Rudolf. Bei Simon kann man spekulieren, dass er bereits tot war, worauf ich noch zurĂŒckkomme. Die Kenntnis dieser Belege aus dem Alpbuch Egg im Korporations-Archiv Erasmus in Fontnas verdanke ich Heinz Gabathuler. 1612 gehörte Jakob BurgĂ€zzi zu den Abgesandten der Gemeinde Sevelen, die 16 Stösse der ebenfalls im Calfeisental gelegenen Bantligenalp (Malanseralp) an die Gemeinde Malans verkauften (GA Malans Nr. 65; StAGR, A 1/18f Nr. 11).

1539 pfĂ€ndete Rudolf als Vogt der zur Grafschaft Werdenberg gehörenden Kapelle St.Ulrich am Seveler Berg fĂŒr diese Kirche (und nicht als Privatmann) von Gallus Roduner und seiner Ehefrau Getta Göldin das Gut Schwendi in Sennwald um zwanzig Pfund gegen einen jĂ€hrlichen Zins von einem Pfund (LAGL, AG III.2408:022 – hier Verwechselung mit Schwendi in Sevelen). Aus diesem Dokument können wir ausserdem herauslesen, dass Rudolf in St.Ulrich ansĂ€ssig war (Abb. 7 und 8).

1542 gehörte er zu den Vertretern von Werdenberg. Damals wurde eine Übereinkunft zwischen dem Landvogt von Sargans und dem Landvogt von Werdenberg wegen der Konfessionszugehörigkeit in Wartau geschlossen (StAZH, B VIII 300c, Nr. 14c ; ediert bei: Ulrich Reich-Langhans BeitrĂ€ge zur Chronik der Bezirke Werdenberg und Sargans [1921], S. 169–170). Da Sevelen sich seit 1532 komplett der reformierten Glaubensrichtung zugewandt hatte, ist davon auszugehen, dass Rudolf BurgĂ€zzi ebenfalls evangelisch geworden war. In Wartau hingegen wollte ein kleiner Teil der Einwohnerschaft weiterhin katholisch bleiben, worum es 1542 ging.

1549, ich kam bereits am Anfang auf dieses Dokument zu sprechen, war Rudolf unter den Werdenberger Zeugen bei den Kundschaften ĂŒber den Wildbann in Wartau (LAGL, AG III.2430:050, Zeugenaussagen in Werdenberg am 6. und 7.05.1549). Der «Wildbann von Wartau» steht – wie auch eine weitere, wenige Wochen spĂ€ter am 4. und 5. Juli 1549 in Sargans aufgenommene Kundschaft (LAGL, AG III.2430:048) – mit seinen Zeugeneinvernahmen und der Auswertung verschiedener Dokumente wohl im Vorfeld eines am 20. MĂ€rz 1550 zwischen Glarus und den das Sarganserland regierenden Orten geschlossenen Vertrags. In diesem fanden alle grösseren und kleineren Streitigkeiten ihre Erledigung. Die Vögte beriefen sich auch in den folgenden Jahrhunderten immer wieder darauf (Edition: SSRQ SG 3,2 Nr. 154a).

Liechtensteiner Bargetze
1563 ging Rudolf zum Werdenberger Landvogt Jakob Schuler, als wohl im Oktober sein Sohn Hans BurgĂ€zzi und wenige Tage darauf dessen Sohn Simon gestorben waren, um die Interessen seiner Familie zu vertreten. Sohn und Enkel hatten in Triesen (Abb. 10) gewohnt (LAGL, AG III.2417:029 vom 01.11.1563, Schreiben des Landvogts an Landamman und Rat zu Glarus). Es kam zum Streit zwischen Werdenberg und Vaduz um den Fall, weil Hans sich von der Werdenberger Leibeigenschaft nie gelöst hatte und Simon, dessen Mutter aus Triesen stammte, noch nicht einer der Leibeigenschaften zugeteilt war – wie das bei Kindern aus gemischtterritorialen Ehen Brauch war. Leider lĂ€sst sich heute nicht mehr rekonstruieren, wie der Streit ausgegangen ist. Der Fall oder Todfall war das Relikt eines ursprĂŒnglich vollen Erbrechts des Grundherrn am Nachlass seiner Eigenleute. Hans muss weitere Söhne gehabt haben, denn die Liechtensteiner Bargetze in Triesen dĂŒrften sich auf ihn zurĂŒckfĂŒhren (vgl. die frĂŒhen Belege bei Hans Stricker et al., Liechtensteiner Namenbuch, Die Personennamen des FĂŒrstentums Liechtenstein, Bd. 3, [2008], S. 48f.).

1575 war Rudolf tot. Wiederum entzĂŒndete sich ein Streit um den Fall, da auch Rudolf sich offensichtlich nie von der Leibeigenschaft gelöst hatte und auch nicht Glarner Eigenmann geworden war. Da seine Söhne vermutlich bereits gestorben waren, wurde er von seinem Enkel Jakob vertreten. Von Hans haben wir dies aus dem Jahr 1563 und von Simon aus dem Jahr 1572 erfahren. Unklar bleibt mir in diesem Vorgang, welche Rolle der «Schgamp von RhĂ€zĂŒns» spielte, der von Jakob den Fall einforderte. Dies war der Anlass fĂŒr das Schreiben des Werdenberger Landvogts Kaspar Strebi an den Glarner Landamman Melchior HĂ€ssi (LAGL, AG III.2417:037 vom 30.06.1575).

Rudolf wird in insgesamt sieben verschiedenen Texten erwĂ€hnt. Mehrfach war er in offizieller Mission unterwegs. Es erstaunt, dass ihm das als eigentlich Ortsfremdem gelang. Er dĂŒrfte bei seinen Zeitgenossen in Ansehen gestanden haben.

HJR