Gesellschaft für Werdenberger Geschichte und Landeskunde

Quellen aus 700 Jahren zum Sprudeln gebracht

28.05.2021

Die im November 2020 erschienenen Rechtsquellen der Region Werdenberg erschliessen 259 Urkunden aus den Jahren 1050 bis 1798 und bieten der Forschung einen enormen Fundus.

HANS JAKOB REICH

Nach sechsjĂ€hriger Arbeit sind im November 2020 die beiden TeilbĂ€nde der Rechtsquellen der Region Werdenberg erschienen. Die 1070 Buchseiten umfassende Edition ist ein wesentlicher Teil der umfangreichen St.Galler BeitrĂ€ge zur Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen und schliesst die LĂŒcke zwischen dem Sarganserland und dem Rheintal, zu denen die Quelleneditionen 2013 und 2018 erschienen sind. Die Werdenberger Ausgabe bezieht sich auf die Grafschaft Werdenberg, die Herrschaft Wartau (Burg Wartau und Etter Gretschins), die Freiherrschaft Sax-Forstegg und die Herrschaft Hohensax-Gams. Sie behandelt Dokumente der Jahre 1050 bis 1798 und bildet die Fortsetzung und ErgĂ€nzung des St.Galler Urkundenbuchs der sĂŒdlichen Teile, des Liechtensteinischen und des BĂŒndner Urkundenbuchs, die ihrerseits in die Quellen des FrĂŒhmittelalters zurĂŒckgehen. Mit der Werdenberger Edition ist nun das ganze zur Alten Eidgenossenschaft gehörende Gebiet des Alpenrheintals rechtsquellenmĂ€ssig erschlossen. 

Bearbeiterin der Werdenberger Sammlung ist Dr. Sibylle Malamud. Die wissenschaftliche und administrative Projektleitung hatte Dr. Pascale Sutter inne. Die vielfĂ€ltigen Aufgaben im Bereich der Informatik betreute Dr. Bernhard Ruef. Der erste Teilband (329 Seiten) beinhaltet die Einleitung mit aufschlussreichen AusfĂŒhrungen zur Edition, einen fundierten geschichtlichen Überblick ĂŒber die behandelten Herrschaften sowie die Verzeichnisse zu den Quellen. Gegen 200 Seiten umfassen die hilfreichen Register der Personen, Familien und Organisationen, das Ortsregister, das Sachregister und das Glossar.

Der zweite Teilband (741 Seiten) enthĂ€lt den Editionsteil mit den 259 behandelten SchriftstĂŒcken. Sie werden jeweils erschlossen mit einem Regest, einer StĂŒckbeschreibung, allenfalls weiteren Überlieferungen, einem Kommentar und dem vollstĂ€ndigen Editionstext. 

Referenzpublikation und digitale Edition
Hinter dem Forschungsprogramm der Edition Schweizerischer Rechtsquellen steht die Rechtsquellenstiftung des Schweizerischen Juristenvereins. Ziel der Stiftung und des seit ĂŒber 100 Jahren bestehenden Editionsprojekts ist es, Rechtsquellen der gesamten Schweiz vom Mittelalter bis 1798 zu edieren und der Bevölkerung und der Forschung zuverlĂ€ssig und leicht zugĂ€nglich zu machen. Diesem Anspruch entspricht, dass die Werdenberger Edition in lediglich 200 gedruckten Exemplaren erscheint, die aber «nur» den Zweck einer Referenzpublikation zu erfĂŒllen haben. TatsĂ€chlich nĂ€mlich handelt es sich um die erste Editionseinheit, die vollumfĂ€nglich digital erarbeitet wurde und im seit 2018 aufgeschalteten Portal der Rechtsquellenstiftung (SSRQ-online) fĂŒr alle Interessierten frei zugĂ€nglich ist, inklusive Faksimiles der meisten der behandelten StĂŒcke. Mit der ĂŒberzeugend konzipierten digitalen Edition ist Tatsache geworden, was im Projektbeschrieb von 2010 so formuliert worden war: «Ziel ist es, mit Hilfe von modernen computerlinguistischen Methoden die Suchmöglichkeiten und Darstellungsvarianten zu verfeinern. Diese verbesserten Zugriffsfunktionen kommen kĂŒnftig nicht nur Historikern, Juristen und Volkskundlern, sondern auch allen Sprachforschenden zugute. Die digitale Edition bietet zudem den Vorteil, dass ortsunabhĂ€ngig und zu jeder Zeit die Quellen sowie die Kommentare eines oder mehrerer BĂ€nde auf die verschiedensten Fragestellungen hin untersucht werden können.

Die Rechtsquellenedition stellt ein Werk der historischen Grundlagenforschung dar, denn die BĂ€nde dienen der Erforschung der schweizerischen Rechts-, Verfassungs-, Wirtschafts-, Sozial-, Orts- und Regionalgeschichte. Zugleich sind sie unentbehrlich fĂŒr die BeschĂ€ftigung mit Volkskunde, Kirchengeschichte und in hohem Masse auch fĂŒr die Sprachforschung der Schweiz und Mitteleuropas. Dank ausfĂŒhrlichen Registern mit Glossarfunktion ist es auch interessierten Laien möglich, die Quellentexte zu verstehen. Wer sich fundiert mit der Ă€lteren Geschichte der Schweiz befasst, wird nicht umhin kommen, auf die Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen zurĂŒckzugreifen.» 

In seinem Vorwort schreibt der PrĂ€sident der Rechtsquellenstiftung des Schweizerischen Juristenvereins, der Rechtshistoriker Prof. Dr. Lukas Gschwend: «Die Werdenberger Rechtsquellen imponieren nicht nur durch den Umfang der Edition, sondern auch durch ihre historische Mannigfaltigkeit. Sie sind in einem Zeitraum von ĂŒber 700 Jahren entstanden, zeugen von diversen unterschiedlichen Herrschaftstraditionen und beschlagen eine Vielzahl verschiedener Rechtsgebiete. Auf mittelalterliche Quellen zu Eigentums- und Herrschaftsrechten folgen frĂŒhneuzeitliche Dokumente zu Gerichtsherrschaft und Gerichtsbarkeiten, Privilegien und Regalien, Verwaltungsorganisation, -reform und staatsrechtlichen VerhĂ€ltnissen zu den StĂ€nden der Eidgenossenschaft, ĂŒber Genossenschaften, Ämter und Kompetenzen, Ehe- und Erbrecht, Sittenmandate und Polizeiordnungen, Strafrecht, Gesundheitswesen und Zoll. Sogar eine Quelle ĂŒber ‘Abwehrzauber gegen Hexen, böse Menschen und Geister’ aus der Zeit des Prozesses gegen Anna Göldi in Glarus findet sich im vorliegenden Band. Die beiden letzten der 259 Rechtsquellen dokumentieren die Entlassung von Werdenberg und Gams in die Freiheit durch Glarus bzw. Schwyz im Jahr 1798.» 

Starke Finanzierungsbeteiligung der Region
FĂŒr die Finanzierung des grossen Werks waren gemĂ€ss Finanzierungsplan (ohne die Publikationskosten) gut 530'000 Franken erforderlich. Daran leisteten der Kanton St.Gallen 200'000 Franken und die Werdenberger Gemeinden 100'000 Franken. Weitere BeitrĂ€ge kamen aus den Lotteriefonds der Kantone Glarus, ZĂŒrich und Schwyz – der Nachfolger der einstigen Landesherren – sowie von Stiftungen und Historischen Vereinen. Die Lohnkosten fĂŒr die fachliche Leitung wurden vollumfĂ€nglich von der Rechtsquellenstiftung ĂŒbernommen. Der finanzielle Aufwand und das enorme Engagement der Bearbeiterin und der Projektleitung sowie die UnterstĂŒtzung zahlreicher Helferinnen und Helfer haben ein anspruchsvolles Projekt Wirklichkeit werden lassen, das sich in einem hochwertigen Quellenwerk manifestiert und der rechtshistorischen und regionalgeschichtlichen Forschung auf lange Sicht wertvolle Dienste und fruchtbare Anregungen leisten wird. 

1050: Der Kaiser verleiht dem Bistum Chur einen Wald
Die folgenden Beispiele aus den 259 edierten StĂŒcken mögen die immense und akribische Arbeit der Bearbeiterin Sibylle Malamud wenigstens erahnen lassen.

Beim ersten und Ă€ltesten StĂŒck handelt es sich um eine in Nattheim ausgestellte Urkunde vom 12. Juli 1050. Kaiser Heinrich III. beurkundete darin auf dem Weg von ZĂŒrich nach NĂŒrnberg eine Schenkung fĂŒr das Bistum Chur: «[Er] verleiht an den Altar St.Maria der bischöflichen Kirche in Chur unter Bischof Dietmar einen Wald («forestum») mit dem kaiserlichen Bann in der Grafschaft des Grafen Eberhard, dessen Grenzen von der Spitze des Berges Ugo (‘Matug’) bis zum Fluss Arga (Limserbach/Lognerbach) gehen, der zwischen Buchs (‘Bugu’) und Grabs (‘Quaravede’) durchfliesst: ‘Monte Ugo usque ad fluvium Arga, qui fluit inter Bugu et Quaravede’». Graf Eberhard ist laut BĂŒndner Urkundenbuch der Graf von Bregenz (1040–1067). Ausgestellt ist die Urkunde in lateinischer Sprache auf einem 31.0 x 37.5 cm grossen Pergament. Erhalten ist auch das runde, aufgedrĂŒckte Siegel des Kaisers.

Im Kommentar fĂŒhrt Sibylle Malamud aus: «Vorliegende Urkunde steht als Beispiel frĂŒher ErwĂ€hnungen von Orts- und Flurnamen. ErsterwĂ€hnungen sind uns durch Chroniken, Schenkungen, KĂ€ufe oder Verzeichnisse ĂŒber den Gutsbesitz ĂŒberliefert. FĂŒr die Region Werdenberg sind frĂŒhe ErwĂ€hnungen bis zum Jahr 1000 bereits in den UrkundenbĂŒchern gedruckt, mehrheitlich im Urkundenbuch des sĂŒdlichen St.Gallen: 612: Sennwald, Grabs [
]; 765: Zeuge von Buchs, verunechtet [
]; 835: Schenkung Hof und Kirche in Gams [
]; 841: Schenkung GĂŒter u.a. in Grabs [
]; 847/854: KĂ€ufer von Salez um GĂŒter in Grabs [
]; 896: Tausch um GĂŒter, wahrscheinlich Salez [
]; 933: Ausstellungsort Buchs [
]; 934–948: Schenkung von GĂŒtern in Gams an das Kloster Einsiedeln [
]; 949: Schenkung von Kirche und Salland in Grabs an das Kloster Einsiedeln [
]; 972: BestĂ€tigung der Schenkung von Grabs [
]; 992: BestĂ€tigung der GĂŒter des Klosters Einsiedeln u.a. in Grabs [
].» 

In den StĂŒcken 2 und 3 aus den Jahren 1210 und 1259 erscheinen erstmals die beiden wichtigsten Adelsgeschlechter der Region Werdenberg: die Freiherren von Sax und die Grafen von Werdenberg. 

1210: Stiftung einer Jahrzeit und eines Weinbergs
Im auf der Burg Sax (Hohensax) am 15. MĂ€rz 1210 in Latein ausgestellten SchriftstĂŒck heisst es: «Heinrich II. von Sax und sein Sohn Albert II. stiften fĂŒr sich und ihre Vorfahren mit 5 Mark Silber und einem Weinberg in Gams (‘vineam unam in Chames cum omni jure, quo eam possederant’) eine Jahrzeit im Kloster Churwalden; ‘facta sunt autem hec idus martii in castro Saches in presentia multorum hominum una vice et altera vice in presentia etiam multorum in ipso loco Curewalde, ubi scriptum hoc cum sigillo eorum fecerunt fieri.’»

Malamud erklĂ€rt dazu im Kommentar: «Bei dieser Stiftung handelt es sich um die erste urkundliche ErwĂ€hnung der Burg Hohensax, gedruckt in BUB [BĂŒndner Urkundenbuch], Bd. 2, Nr. 532 (537). Das Haus Sax ist zu jener Zeit noch ungeteilt. Erst nach dem Tod des Grossvaters Heinrich II. um 1240 wird unter den Söhnen des bereits verstorbenen Albert II. von Sax die Herrschaft geteilt, wobei Ulrich IV. (nach dem Stammbaum bei Deplazes-Haefliger 1976, S. 166, Ulrich III.) die Freiherrschaft Sax erhĂ€lt und als Stammvater des Hauses Sax-Hohensax gilt.» 

1259: Graf Hartmann I. von Werdenberg
Beim dritten StĂŒck des Editionsbandes handelt es sich um eine am 2. Mai 1259 ausgestellte Urkunde, die davon handelt, dass Graf Hartmann I. von Werdenberg und seine Ehefrau Elisabeth, GrĂ€fin von Kraiburg, dem Kloster Raitenhaslach einen Hof in Niedergottsau ĂŒbergeben. Bemerkenswert am SchriftstĂŒck ist vor allem, dass sich erstmals ein Montforter «Graf von Werdenberg» nennt: «Hartmannus dei gratia comes de Werdenberc».

Sibylle Malamud erklÀrt dazu:
«1. In dieser Urkunde nennt sich erstmals ein Montforter, Hartmann I., von Werdenberg [
]. Sein Vater, Rudolf I. von Montfort, gilt in der Literatur als Stammvater der Werdenberger Linie, obwohl es den Familiensitz Werdenberg noch nicht gibt. Rudolf I. hat nach dem Tod seines Vaters Hugo I. von Montfort um 1235/1237 die sĂŒdlichen Landesteile des Montforter Besitzes (Werdenberg, Sargans vom Walensee bis zur Landquart, das heutige Liechtenstein, der Walgau [Bludenz], Montafon und Klostertal) ĂŒbernommen und Sargans zu seinem Stammsitz gemacht, wĂ€hrend sein Bruder Hugo II. von Montfort die nördlichen, rechtsrheinischen Gebiete (Feldkirch, Bregenz und Tettnang) ĂŒbernommen hat. Nach dem Tod von Rudolf I. um 1243/1245 verfĂŒgt sein Bruder Hugo II. von Montfort ĂŒber den ganzen Grafenbesitz. Erst nach dessen Tod 1257 kommt es zu einer Teilung in die Linien Montfort und Werdenberg: Die Söhne Rudolfs I., Hugo I. und Hartmann I. von Werdenberg, fĂŒhren den Herrschaftsausbau ihres Vaters im SĂŒden gemeinsam fort. Wann sich die BrĂŒder von der Montforter Linie getrennt haben, ist nicht belegt, da es keine formelle Teilungsurkunde gibt. Die Teilung zwischen der Montforter und Werdenberger Linie beginnt um 1258 und ist deutlich erkennbar in einer Urkunde von 1265, in der die Teilherrschaften mit vier Grafensitzen (Montfort und Bregenz einerseits und Werdenberg und Blumenegg andererseits) genannt sind [
].
2. Neben dem bereits bestehenden Stammsitz Sargans entsteht gleichzeitig mit der Trennung von Montfort die Burg Werdenberg als zweiter Grafensitz [
]. WĂ€hrend Hugo I. von Werdenberg Burg und StĂ€dtchen Werdenberg mit dem umliegenden Herrschaftsgebiet besitzt, ĂŒbernimmt sein Bruder Hartmann I. Sargans mit den umliegenden Gebieten. In der Literatur gelten deshalb Hartmann I. als der Stammvater der Linie Werdenberg-Sargans und sein Bruder Hugo I. als der Stammvater der Linie Werdenberg-Heiligenberg [
]. Die beiden ‘Teilgrafschaften’ bleiben jedoch bis gegen Ende des 13. Jhs. weiterhin im gemeinsamen Besitz. Nach dem Tod Hartmanns I. vor 1271 ĂŒbernimmt sein Bruder Hugo I. die Vormundschaft ĂŒber die noch unmĂŒndigen Söhne Hartmanns und damit die Gesamtherrschaft ĂŒber die sĂŒdliche Teilgrafschaft. Die Trennung in zwei Teilgrafschaften Werdenberg und Sargans erfolgt erst nach dem Tod von Hugo I. († 1280) [
].»

1397: Schiedsspruch zwischen Bischof und Graf
Im Regest fasst die Bearbeiterin den umfangreichen Urkundentext vom 2. November 1397 folgendermassen zusammen: «Goswin BĂ€singer, Vogt von Sargans, und Heinrich Stöckli, BĂŒrger von Feldkirch, entscheiden als Schiedsrichter wegen des Hofs in Sevelen, dass Bischof Hartmann II. von Chur Graf Rudolf II. von Werdenberg-Heiligenberg den Hof mit allen Rechten ĂŒberlassen soll. DafĂŒr soll Graf Rudolf dem Bischof 900 Pfund Konstanzer Pfennige geben.»

Im Kommentar ist dazu folgende ErklÀrung zu lesen:
1. «1304 verpfĂ€ndet der Churer Bischof Siegfried von Gelnhausen den Hof Sevelen an Graf Hugo II. von Werdenberg-Heiligenberg [
].»
2. «Nachdem die Grafen Albrecht III. von Werdenberg-Heiligenberg, Albrecht IV. von Werdenberg-Heiligenberg und die BrĂŒder Rudolf II. und Hugo V. von Werdenberg-Heiligenberg in der sogenannten Werdenberger Fehde (1393–1397) gegen den Bischof von Chur mit seinen VerbĂŒndeten verloren haben [
], erhebt der Bischof von Chur beim Friedensschluss 1397 AnsprĂŒche auf den Hof Sevelen. Bereits als 1395 Herzog Leopold IV. von Habsburg-Österreich dem Anti-Werdenbergischen BĂŒndnis des Bischofs beigetreten ist, haben sich die BĂŒndnispartner die Besitzungen der Gegner aufgeteilt: Die Besitzungen sĂŒdlich des Nussbaums bei RĂ€fis, der die Grenze zwischen den Grafschaften Werdenberg und Sargans bildet, sollten dem Bischof zufallen, ebenso der Hof Sevelen, falls diese Besitzungen in die HĂ€nde des Bischofs oder seiner BĂŒndnispartner fallen. Das Gebiet nördlich des Nussbaums bis zum Bodensee samt den Besitzungen im Thurtal soll seinen BĂŒndnispartnern zufallen [
]. Goswin BĂ€singer entscheidet betreffend die AnsprĂŒche des Bischofs von Chur auf den Hof Sevelen zu Gunsten von Graf Rudolf II. von Werdenberg-Heiligenberg, der dem Bischof jedoch eine Summe von 900 Pfund bezahlen muss [
]. Graf Rudolf II. soll einen Teil der Summe den Schuldnern des Bischofs, Johann Stöckli, Ammann der Herrschaft Österreich in Feldkirch, und seinem Sohn, bezahlen. Was nach Abzug der Schuldsumme von den 900 Pfund noch ĂŒbrig ist, soll der Graf dem Bischof geben.»

1534: Die Grenze zwischen FrĂŒmsen und Sax
Die Gemeinden FrĂŒmsen und Sax wissen nicht mehr, wo genau ihre gegenseitige Grenze verlĂ€uft. Deshalb wird eine Begehung nötig und der Verlauf in der Urkunde vom 31. August 1534 festgehalten. Das Regest fasst sie so zusammen: «Hans Egli, Statthalter des Freiherrn Ulrich VIII. von Sax-Hohensax, und Jakob GrafenbĂŒhler, alt Ammann von Sax-Forstegg, bestĂ€tigen, dass vor einigen Jahren die Gemeinden Sax und FrĂŒmsen wegen der Weidegrenzen verglichen wurden. Da der Schiedsspruch nicht verschriftlicht wurde und bereits einige Schiedsrichter verstarben, bittet FrĂŒmsen zur Vorbeugung kĂŒnftiger Konflikte um eine ErlĂ€uterung des Spruchs. Deshalb wird der Grenzumgang wiederholt und hiermit festgehalten. Jakob GrafenbĂŒhler, alt Ammann, siegelt.»

Aus dem Kommentar ist dazu zu erfahren: «Die Grenzen zwischen Sax und FrĂŒmsen werden hier erstmals beschrieben. Es ist die einzige Urkunde zu den Grenzen zwischen den beiden Gemeinden. Die hier erwĂ€hnten Grenzpunkte entsprechen in etwa dem oberen Teil der Grenze zwischen den Herrschaften Frischenberg und Sax-Forstegg von 1494 [
]. Als Grenze zwischen FrĂŒmsen und Sennwald wird 1707 in einem Streit um einen Wald am Berg Chele der Chelenbach genannt [Ortgemeindearchiv Sennwald].»

1775–1825: Abwehrzauber
Das undatierte SchriftstĂŒck findet sich im Ortsgemeindearchiv Sennwald in einer Mappe mit verschiedenen andern Dokumenten aus der Zeit von 1775 bis 1825. Der Editionstext lautet:

«Vor die hexen, die das vich bezauberen,
in den stall zu machen oder vor bösen
menschen oder geister, die des nachts alte
und junge menschen plagen,
zu schrieben an die bet stÀtte,
menschen und vich dadurch ganz
sicher und befreit sind.
Trottenkopf, ich verbiethe dir
mein haus und mein hof,
ich verbiethe dir meine kuh
und pferthe und mein stall, ich verbiethe
dir meine bethstadt, das du nicht mich ĂŒber
mich tröste, tröste in ein ander haus,
bis du ĂŒber alle berge steigest und
alle zunstecken eilest und ĂŒber alle
waßer steigest, so kommt der liebe tag
wider in mein haus, im nammen gottes,
des vaters, des sones und des heiligen geistes,
amen.»

Sibylle Malamud erklÀrt dazu im Kommentar:
«1. [
] Die Segensformel ist eine eher ungewöhnliche Quelle fĂŒr ein Ortsgemeindearchiv und auch die einzige in der Region Werdenberg. Zwar ist sie keine Rechtsquelle, doch stellt sie eine seltene Form von Abwehrzauber dar, nĂ€mlich die verschriftlichte Beschwörung gegen das Böse, weshalb sie hier in die Edition aufgenommen wurde. HĂ€ufiger waren Schutz- und Abwehrzeichen wie z. B. Hexagramme, Teufelsknoten, Schreckköpfe, Amulette usw. Der Zettel mit der Abwehrformel wendet sich gegen Hexen, böse Menschen und böse Geister und wurde an Haus, Stall oder Bettstatt befestigt, um die Bewohner und Tiere zu schĂŒtzen und zeigt, dass Restformen von Volksglauben bzw. magischen Denkens und Handels im Volk immer noch lebendig waren [
].
2. Der Bannspruch stammt wohl nicht vom Autor selbst, denn er ist auch in den Aargauer Besegnungen (1859) von Volkskundler Rochholtz (1809–1892) enthalten und zwar gegen den Toggeli, d. h. die Seele einer Hexe. Solche SprĂŒche legte man neben anderen Schutzzaubern kleinen Kinden unter das Wickelband auf der Brust [
] Rochholz verweist zudem auf einen Ă€lteren, fast wortgleichen Spruch nach einer Handschrift in Stendal, der in den Norddeutschen Sagen von 1848 abgedruckt ist [
]. Der Autor muss den Spruch von irgendwoher gekannt, jedoch mit einigen Wörtern ergĂ€nzt haben, die ihm zum Schutz wichtig erschienen, wie z. B. ‘mein stall’ oder ‘meine bethstadt’. 

1798: Entlassung in die Freiheit
Die letzten beiden EditionsstĂŒcke sind Zeugnisse des Untergangs der Alten Eidgenossenschaft. Nr. 258 vom 11. MĂ€rz 1798 steht unter dem Titel «Glarus entlĂ€sst Werdenberg in die Freiheit» und zu Nr. 259 heisst es «Schwyz entlĂ€sst Gams in die Freiheit». Im Regest fasst die Bearbeiterin den Inhalt so zusammen: «Landammann und Landrat von Schwyz urkunden, dass, nachdem die Landvogtei Gaster in die Freiheit entlassen wurde, auch Gams in die Freiheit entlassen wird, jedoch mit dem Vorbehalt, dass Gams die katholische Religion beibehĂ€lt, das Privat- und Staatseigentum sicher bleibt und die alljĂ€hrlichen Zinsen laut Zinsbrief und Zusagen vom 21. MĂ€rz 1798 durch die Gamser Abgeordneten, SĂ€ckelmeister Johann Hardegger und Michael Hardegger, bis zur Auslösung entrichtet werden. Auch im Fall eines Auszugs in den Krieg soll keiner den anderen mit Kosten beladen und sich gegenseitig nicht mit neuen Zöllen und Weggeldern beschweren. Der Aussteller siegelt mit dem Sekretsiegel.»

Der Kommentar dazu ist ein eindrĂŒckliches Beispiel dafĂŒr, dass Rechtsquellen edieren weit mehr ist, als nur Quellentexte zu transkribieren:
«1. Die vorliegende ErklĂ€rung von Schwyz zur UnabhĂ€ngigkeit von Hohensax-Gams ist flĂŒchtig geschrieben, schwer lesbar und enthĂ€lt viele Streichungen, weshalb es sich um einen Entwurf handeln muss. Eine gesiegelte Originalurkunde ist nicht auffindbar.
2. Über die geschichtlichen Ereignisse in der Herrschaft Hohensax-Gams wĂ€hrend des Übergangs zur Helvetischen Republik ist wenig bekannt. Die Darstellungen in der Literatur
[
] beruhen weitgehend auf den AusfĂŒhrungen von [Nikolaus Senns ‘Werdenberger Chronik], die ohne Quellenangaben und grösstenteils von zeitgenössischen ErzĂ€hlungen stammen. Gams hat sich jedoch den Freiheitsbewegungen in der unmittelbaren Nachbarschaft nicht angeschlossen: Am 7. MĂ€rz 1798 versichert Gams in einem Schreiben dem Stand Schwyz, dass sie keinen Freiheitsbaum aufgerichtet hĂ€tten, dass es ‘weit entfernet seye von unß, dies unordentliche beyspille nachzuahmen, die wir ihrer stifftung und ursprungs wegen fĂŒr verabscheuchungswĂŒrdig ansehen und einem getreĂŒen volck, daß seiner rechtmĂ€ĂŸigen obrigkeit ganz ergeben’, vollkommen widerspreche. Vielmehr hĂ€tten sie sich den Aufforderungen ihrer Nachbarn, solche BĂ€ume aufzurichten, widersetzt und hĂ€tten sogar Wachen aufgestellt, damit ihnen niemand FreiheitsbĂ€ume aufzwingen könne. An der heutigen Landsgemeinde hĂ€tten sie zudem beschlossen, ihren Vertrag von 1497 [
] mit den beiden Orten Schwyz und Glarus erhalten und schĂŒtzen zu wollen [
]. Auch der Landvogt von Sax-Forstegg, der am 6. Februar ĂŒber Unruhen in den Nachbargebieten berichtet, erwĂ€hnt nur Werdenberg, das Rheintal und das Toggenburg, nicht aber Hohensax-Gams [
]. Am 10. MĂ€rz 1798 wird an einer ausserordentlichen Landsgemeinde in Schwyz beschlossen, dass alle Angehörigen der Landschaften, die noch nicht ausdrĂŒcklich in die Freiheit entlassen worden seien, von heute an fĂŒr frei erklĂ€rt sein sollen [
]. Doch erst als laut Inhalt des vorliegenden Entwurfs am 21. MĂ€rz 1798 die beiden Gamser Abgeordneten SĂ€ckelmeister Johann Hardegger und Michael Hardegger versichern, dass die jĂ€hrlichen Zinsen bis zur Ablösung bezahlt wĂŒrden, entlĂ€sst Schwyz auch die Gamser in die Freiheit. Glarus hatte Gams bereits am11. MĂ€rz 1798 fĂŒr frei und unabhĂ€ngig erklĂ€rt mit der Bedingung, dass sie Schwyz und Glarus die ‘gĂŒlt brief wie bis anhin verzinset oder das capital bezalt hat’ [
]. Am 12. Mai 1798 erscheinen Anton Lenherr und Michael Hardegger als Abgeordnete der Gemeinde Gams vor General von Schauenburg und zeigen an, dass sie die Helvetische Konstitution einstimmig angenommen haben. Dieser rĂ€t ihnen, die Annahme dem Direktor der Helvetischen Republik in Aarau anzuzeigen [
]. Nach Senn verlangen 1804 Schwyz und Glarus den 1497 vorgeschossenen Kaufbetrag von 4920 Gulden (laut Zinsbrief von 1497 sind es allerdings 4000 Gulden [
]), fĂŒr den Gams jĂ€hrlich ĂŒber Jahrhunderte 200 Gulden Zins bezahlt hat, zurĂŒck. WĂ€hrend Schwyz ihr Kapital von 1750 Gulden der Pfarrkirche Gams ĂŒbergibt, behĂ€lt Glarus seine gesamte Einlage [
]. Die Gamser erhalten zwar im Vergleich zu ihren Nachbarn erst spĂ€t ihre UnabhĂ€ngigkeit; der Übergang erfolgt jedoch ohne grössere Unruhen. [
]
3. Die gemeine Landvogtei Gaster, der Hohensax-Gams verwaltungstechnisch angegliedert ist, wird bereits am 6. MĂ€rz 1798 durch Schwyz aus dem UntertanenverhĂ€ltnis entlassen [
], gefolgt von Glarus am11. MĂ€rz 1798 [
]. Hohensax-Gams wird darin nicht erwĂ€hnt.»

 

Rechtsquellenstiftung des Schweizerischen Juristenvereins (Hg.), Die Rechtsquellen des Kantons St.Gallen, dritter Teil: Die Landschaften und LandstÀdte. Vierter Band. Die Rechtsquellen der Region Werdenberg: Grafschaft Werdenberg und Herrschaft Wartau, Freiherrschaft Sax-Forstegg und Herrschaft Hohensax-Gams, bearbeitet von Sibylle Malamud, Schwabe Verlag Basel 2020 (Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, XIV. Abt.), 2 Bde., 1070 Seiten, 1 Karte, 4 StammbÀume, gebunden.
ISBN 978-3-7965-4171-1

Der Editionsteil ist auf der Website der Rechtsquellenstiftung unter SSRQ-online frei zugÀnglich.

HJR