Erinnerung an Martin Graber
Martin Graber, 27. August 1975 – 24. Oktober 2021
Martin Graber, der am 24. Oktober 2021 im Alter von nur 46 Jahren aus dem Leben gerissen wurde, hinterlässt in seiner Familie, bei seinen Freunden und Arbeitskollegen, aber auch in den Werdenberger Historikerkreisen und darüber hinaus eine grosse Lücke.
Seit vielen Jahren war Martin für seine Transkriptionen von Urkunden und Dokumenten bekannt und geschätzt. Sein beharrlich und systematisch erarbeitetes Wissen machte ihn zu einem hervorragenden Kenner der Wartauer Geschichte – Wissen, das er stets zu teilen bereit war. So erinnert sich Sibylle Malamud, die die Rechtsquellenbände Sarganserland und Werdenberg bearbeitet hat, gern an die grosse Hilfsbereitschaft von Martin. Er teilte mit ihr seine transkribierten Texte und hatte auch immer ein offenes Ohr für Fragen. Mit seiner Fähigkeit, auch die unleserlichsten Texte zu entziffern, unterstützte er über die Jahre viele Familienforscher und Historiker in ihrer Arbeit konstruktiv und leistete damit einen enormen Beitrag für die Wartauer Geschichtsschreibung.
Bereits 1998 publizierte Martin eine Edition der Urkunden der Alpkorporation Oberschan. Im Vorwort schrieb er damals, dass viele Urkunden der allgemeinen Forschung nicht bekannt wären und dass es ihm vor allem darum gehe, möglichst viele Lücken zu schliessen. Das gelang ihm tatsächlich zeitlebens immer wieder.
Zwei Jahre später machte er den Azmooser Kirchenbrief von 1743 einem interessierten Publikum zugänglich, und 2003 erschien als Begleitpublikation des Werdenberger Jahrbuchs «Die Burg Wartau. Baubeschreibung, Geschichte, Rechte und Besitzungen, Urkundensammlung», sein bisher umfassendstes Werk. Hans Jakob Reich, der damals für die Publikation des Jahrbuchs und der Begleitreihe verantwortlich zeichnete, rühmt noch heute die professionelle Zusammenarbeit und Martins bewundernswerte Akribie. Auch bei der Bearbeitung von anspruchsvollen Urkunden habe bei Martin nie auch nur ein Strich gefehlt. Nachdem Martin bereits 2005 und 2010 Beiträge im Werdenberger Jahrbuch publiziert hat, ist jüngst «Die Geschichte um den Streit um eine Hebamme in Wartau aus dem Jahr 1794» erschienen.
Es waren aber auch die kleinen Funde, um die sich Martin mit nicht nachlassendem Eifer kümmerte. Als 2017 der Historiker Werner Hagmann am grossen Oberschaner Dorfbrunnen die bisher offenbar niemandem aufgefallene und stark verwitterte Jahrzahl 1717 entdeckte, war es Martin, der den entscheidenden Beweis für die Datierung des Brunnens in Form eines Quellenbelegs zu liefern wusste.
Seit vielen Jahren konzentrierte sich Martin verstärkt auf die Transkription von Wartauer Urkunden aus dem Zeitfenster von 1434 bis kurz vor dem Einmarsch der französischen Truppen. Mit diesem Manuskript hat Martin uns ein Lebenswerk hinterlassen. Darin steckt ein kaum vorstellbarer Aufwand, musste er doch neben dem Archiv der Ortsgemeinde Wartau vor allem auch die meisten Archive der Alten Eidgenossenschaft nach Wartauer Urkunden durchkämmen. Die Wertschöpfung, die Martin damit erbracht hat, wird erst dann vollumfänglich verstanden werden, wenn sich die Zunft der professionellen Historiker mit diesem wohl einmaligen Fundus beschäftigt hat. Mathias Bugg, der langjährige Präsident des Historischen Vereins Sarganserland, der Martin in der Anfangsphase des Projekts begleitete, meint dazu: «Was er mit den Urkunden-Editionen geleistet hat (bezogen auf Wartau), übertrifft die meisten Historiker; seine Abschriften waren immer tadellos. Ich habe Martin als zuverlässigen, genauen und hartnäckigen Forscher immer sehr geschätzt.»
Die ersten Jugendjahre verbrachte der in Dornach (SO) geborene Martin in Reinach (BL), wo er bis 1984 zur Schule ging. Sein Vater, Josef Graber (aufgewachsen in Trübbach), und seine Mutter Margrit, geborene Kalberer von Vild sowie der sechseinhalb Jahre ältere Bruder Sepp trugen das ihre bei, dass Martin in einem wohlbehüteten Umfeld aufwachsen konnte. Martin war ein genügsames und anspruchsloses Kind, das sich lang und intensiv mit Legobauten oder Memorys beschäftigte, wobei Vaters Schafe immer einen speziellen Stellenwert hatten.
Martin war ein sehr guter Schüler, der sich früh für Historisches, vor allem aber für Burgen und Schlösser interessierte, von denen es im Birstal wie auch im St.Galler Oberland bekanntlich viele gibt. Seine Mutter reiste oft mit ihm durch die Schweiz, um Burgen zu besichtigen. Auch liebte er die Comics von Tim & Struppi des Belgiers Hergé und besass davon wohl alle Bände. Gerne ging er mit den Eltern wandern und machte später oft auch Velotouren, wobei er aber die Nacht am liebsten wieder im eigenen Bett verbrachte.
Im Frühjahr 1984 kehrte die Familie nach Trübbach ins Elternhaus des Vaters zurück. Martins Einstieg ins Berufsleben fand 1991 mit der Lehre als Maschinenzeichner bei der damaligen Balzers AG statt, die er mit Auszeichnung abschloss.
1995 absolvierte er seine RS als Festungspionier in Mels. Danach begann er sein Studium zum Systemingenieur am Neu-Technikum Buchs NTB. Vier Jahre später war es soweit, und es war dem «Werdenberger & Obertoggenburger» sogar eine Titelseite wert: Dort stand «Die ersten Systemingenieure der Schweiz kommen aus Buchs». Auf Seite 3 fand sich denn auch ein Bild mit Martin im Kreis der zehn erfolgreichen Absolventen aus der Region.
Als einer der ersten Software-Ingenieure in der Schweiz waren seine Fähigkeiten natürlich sehr gefragt. In der Folge arbeitete er als Softwareentwickler und Programmierer an verschiedenen Stellen im Fürstentum Liechtenstein, in St.Gallen und Malans GR. Seit Frühling 2015 war er ein sehr geschätztes Mitglied des Entwicklungsteams bei Service 7000 in Netstal. Sein Chef, Marco Cathomas, erzählt gern, wie er Martin als äusserst zuverlässigen und pflichtbewussten Kollegen und Freund schätzen gelernt habe: «Seine hohen analytischen Fähigkeiten waren unvergleichbar und seine zurückhaltende Art, gepaart mit einem verschmitzten Lächeln und schelmischem Schalk in den Augen, machten ihn zu einem ganz besonderen Menschen.»
Einschneidende Erlebnisse für Martin waren der schwere Motorradunfall seines Bruders im Jahr 1985 und der frühe Tod seiner Mutter (2009) und seines Vaters (2010). 2009 diagnostizierte er sich selbst die Autismus-Störung Asperger-Syndrom. Wir dürfen stolz auf Martin sein, dass er es geschafft hat, aus dieser Schwäche eine Stärke zu machen, denn wie sonst hätte er die unglaubliche Ausdauer und die minutiöse Beharrlichkeit für alle seine vielen Transkriptionen aufbringen können?
Martin war unverheiratet und verstarb völlig unerwartet am 24. Oktober 2021 infolge einer Hirnblutung. Viele werden ihn schmerzlich vermissen!
Sandra Graber-Schlegel, Weite; Jürg Gabathuler, Egg bei Zürich